Hier finden Sie ein kleines "Appetithäppchen" aus meinem Roman "Rentner-Disco".

Viel Vergnügen beim Schmökern!

RENTNER-DISCO

Erschienen Frühjahr 2014 als Taschenbuch und E-Book erhältlich

Ausgerechnet im Hinterzimmer einer Techno-Disco findet ein Klassentreffen statt – ein denkbar unpassender Ort, denn das Abi ist schon schlappe 40 Jahre her. Genauso „wild“ wie die Location ist auch die Zusammensetzung der Leute. Die Hauptakteure sind Schorsch, der ewige Rocker, der schon in der Schule der Schreck aller Lehrer war, Strahlefrau Monika, die sich auch vom heftigsten Schicksalsschlag nicht umhauen lässt, Uschi und Friedrich, die es irgendwie nur im Doppelpack zu geben scheint, und die verhuschte Pauline, die mit ihrem despotischen Ehemann Eddie geschlagen ist.

Allmählich nimmt das Treffen Fahrt auf…

 

„Ist hier Selbstbedienung oder kommt wer?“, erkundigte sich Friedrich unwirsch.

Schorsch warf einen Blick auf das fast leere Bierglas vor sich. Er stand auf, ging zur Tür und riss sie auf.

„Bedienung!“, brüllte er und übertönte damit sogar den Technosound von nebenan.

Uschi zuckte zusammen. Dieses schmutzige Lokal, die laute Musik und die Streitereien, es war das reinste Gift für ihr angegriffenes Nervenkostüm. Sie hätte doch besser zu Hause bleiben sollen. Hektisch drehte sie an ihrem Bettelarmband, so dass die kleinen Anhänger wild durcheinander wirbelten.

Besorgt legte ihr Friedrich den Arm um die Schultern und zog sie leicht zu sich heran. „Ist dir nicht gut?“

Sie zwang sich zu einem Lächeln. „ Mach dir keine Gedanken. Ich hab nur Kopfschmerzen.“

„Kein Wunder.“

Er schoss einen wütenden Blick auf Eddie, der aber in seinem Redeeifer nichts davon mitkriegte. Das Pärchen, das bei ihm und Pauline am Tisch saß, hörte sich eine seiner ungemein spannenden Geschichten aus der Versicherungsbranche an. Die Frau hatte schon glasige Augen vor Langeweile, und ihr Lächeln wirkte wie eingefroren. Aber wenn Eddie erst einmal loslegte, konnte man ihn einfach nicht stoppen. Das wusste Friedrich aus eigener, leidvoller Erfahrung und hatte sich wohlweislich einen Tisch weiter weg ausgesucht.

„Aufgeblasener Knallfrosch!“, murmelte er halblaut. Bei der Geräuschkulisse bestand keine Gefahr, dass Eddie es hörte.

„Was soll’s sein?“

Er hatte die Kellnerin gar nicht bemerkt. Kaugummikauend stand sie vor ihm. Jeans, ein T-Shirt, das offensichtlich zu heiß gewaschen worden war, und – oh mein Gott! Was hatte sie mit ihrem Gesicht gemacht? Die Haut war weiß und teigig, die Augen dick mit schwarzem Kajal eingerahmt. Dazu ein bluttriefender Mund und wild toupierte, abstehende Haare. Sie sah aus wie aus einem Vampirfilm entsprungen. Ihm klappte vor Verblüffung der Unterkiefer herunter.

Schorsch schlug sich grölend auf die Schenkel, und auch Monika prustete los. Friedrich räusperte sich, um Fassung bemüht. „Ein Weizen. Und...“

Fragend wandte er sich an Uschi. „Haben Sie Kamillentee?“

Die Kellnerin schüttelte den Kopf. „Nee. Das is‘ ne Disco.“

Eine Kaugummiblase quoll aus dem Blutmund. Quietschrosa, einfach ekelhaft.

„Dann ein Glas Weißwein. Einen trockenen bitte.“

Gelangweilt nickte die Kleine und drehte sich zu Schorsch um, der mit den Armen herumfuchtelte, um auf sich aufmerksam zu machen. Er zeigte auf sein Bierglas. „Lass da nochmal die Luft raus. Und...“ Er schaute in die Runde und zählte mit ausgestrecktem Zeigefinger großzügig die Köpfe. „...mach mal zwanzig Kurze.“

Monika schaute ihn erstaunt an. „Hast du im Lotto gewonnen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Was soll der Geiz? Außerdem wird es Zeit, dass wir hier mal Stimmung rein kriegen. Ist ja schließlich keine Beerdigung.“

„Könnte aber eine werden, wenn dieses Gedudel nicht bald aufhört“, mischte sich Eddie ein.

Mit seinen 1,90 Metern schaute Schorsch auf ihn hinunter und grinste.

„Isses denn die Möglichkeit? Wem willst du denn ans Leder?“

„Als erstes dem DJ. Und dann jedem, der mir dumm kommt.“

Eddie war sehr empfindlich, was seine Größe betraf. Schorsch und Monika kicherten albern. „Techno ist jetzt auch nicht so mein Ding“, gestand Schorsch Eddie immerhin zu.

„Eher Jimmy Hendrix. Und ACDC, gell?“

Sie grinsten sich verschwörerisch an.

„Dein Gedächtnis funktioniert noch gut“, bestätigte er. „Du mochtest ja am liebsten diese Weichspüler. Was war das noch? Nights in White Satin?“

Fast wäre Monika rot geworden.

„Das ist doch Ewigkeiten her. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern“, wiegelte sie ab und wechselte schnell das Thema. „Weißt du noch, deine Luftgitarren-Nummer?“

Mit diesem Act hätte er einmal ein Schulfest beinahe gesprengt. Offensichtlich total zugedröhnt hatte er sich hinter die Bühne geschlichen und eine seiner härtesten Scheiben aufgelegt. Und dann diese Nummer gebracht, die seltsamerweise gar nicht komisch, sondern richtig gekonnt ausgesehen hatte.

„Die hab ich noch drauf“, bestätigte Schorsch. „Na ja, mit dem Spagat klappt es nicht mehr so richtig. Aber sonst...“ Er erwärmte sich zusehends für das Thema.

„Das war wenigstens noch Musik. Was die heutzutage zustande bringen, kann man ja nicht mehr so bezeichnen. Dieses elektronische Dauerstampfen kann einen richtig aggressiv machen. Spielt ja sowieso kaum noch einer selbst. Kommt alles vom Computer.“

Schorsch kannte sich aus in der Musikszene, und er verabscheute die meisten der neuen Stilrichtungen.

Der Krach wurde schlagartig lauter, die Kellnerin war im Anmarsch.

„Gutes Timing“, lobte Schorsch und griff nach dem vollen Bierglas, das sie ihm entgegenstreckte. Sie verteilte die anderen Getränke auf die Tische, bis nur noch die Schnapsgläser auf dem Tablett übrig waren. Das platzierte sie kurzerhand vor ihnen und ging wieder.

„Auf Ex!“, kommandierte Schorsch, nachdem er jedem eines der Gläser hingestellt hatte. Es gab einige halblaute Proteste, aber dann kippten doch alle ihren Schnaps hinunter. Es folgten die üblichen Quietschlaute und wildes Grimassenschneiden, das irgendwie dazu gehörte.

Die kleine Unterhaltung zwischen ihm und Monika war nicht unbemerkt geblieben. Die Frau an Eddies Tisch nutzte die Gelegenheit, um den drögen Monolog zu unterbrechen.

„Wisst ihr noch, die Tanztees beim Bauer?“, fragte sie in die Runde.

„Ich war bei Wernecke“, meldete sich jemand.

Das waren seinerzeit die zwei bekanntesten Tanzschulen in Frankfurt gewesen. Es war fast eine Lebenseinstellung, welche man bevorzugte.

Schorsch verzog das Gesicht. „Tanzstunde! Walzer und so’n Kram. Und erst dieser Disco-Fox! Das war ja sowas von ätzend.”

„Finde ich gar nicht. Wir waren jeden Freitag und Samstag auf Achse.“ Mit glänzenden Augen drehte sich die Frau zu ihrem Partner um. „Wir haben viel Spaß gehabt damals.“

„In Sachsenhausen gab’s doch diese kleinen Discos, ein halbes Dutzend oder mehr. Wisst ihr noch, wir sind rumgezogen von einer zur anderen“, erzählte ein anderer Gast. „Und Pauline ist immer vorneweg marschiert.“

Mehrere Leute nickten lachend. Eddie warf seiner Frau Pauline einen bösen Blick zu. „Zum Affen hast du dich gemacht damals.“

„Aber das stimmt doch gar nicht!“, protestierte Monika. „Es sah toll aus, wie sie getanzt hat.“

Eddie linste schlecht gelaunt zu Pauline. Als ob er das nicht mehr wüsste! Klar hatte sie gut getanzt, dabei war sie ihm ja auch aufgefallen. Auf der Tanzfläche war sie so ganz anders als in der Schule, wo man sie eigentlich nie richtig wahrgenommen hatte.

„Die nächste Runde geht auf Eddie. Der hat uns das hier schließlich eingebrockt“, verkündete Schorsch. Er schaute triumphierend in die lachenden Gesichter. Alle johlten. Die Stimmung war seit dem Schnaps sprunghaft gestiegen. Offenbar hatten die meisten Mitschüler mit einem Abendessen gerechnet und deshalb nichts im Magen.

Mit saurem Gesicht zog Eddie sein Portemonnaie aus der Hosentasche und schaute nach, wie viel Geld er einstecken hatte. Pauline wand sich auf ihrem Stuhl. Sie hatte sich schon lange damit abgefunden, dass er sparsam war bis zum Geiz. Aber vor diesen Leuten war ihr sein Verhalten schrecklich unangenehm. Sie kramte ihre eigene Geldbörse aus der Handtasche und drückte ihm unter dem Tisch einen 50-Euro-Schein in die Hand.

„Da!“

Automatisch griff er nach dem Geld.

Wenn er jetzt fragt, woher ich das habe, stehe ich auf und gehe, beschloss sie für sich. Aber er sagte nichts, sondern sortierte den Schein ordentlich in ein Fach.

„Besser, du gehst rüber. Von allein kommt die so schnell nicht wieder“, schlug Schorsch vor.

Umständlich stand Eddie auf und schlich zur Tür. Er hatte absolut keine Lust, diese unsägliche Diskothek zu betreten. Aber es blieb ihm wohl keine andere Wahl.

Man schwelgte weiter in seliger Erinnerung. Gesprächsfetzen flogen durch die Luft, das Klassentreffen nahm Fahrt auf.

„Siehst du, was so ein Schnäpschen bewirken kann? Ist doch plötzlich Schwung in der Bude.“

Zufrieden lehnte sich Schorsch zurück. Die Leute waren schon ganz okay. Ein bisschen spießig vielleicht, aber das machte das Treffen eigentlich nur lustiger. Wenn man sie aus der Reserve lockte, konnten sie richtig aufdrehen. Sogar Pauline schien endlich entdeckt zu haben, dass sie auch reden konnte. Ihre Augen blitzten, während sie lachend ihre Tanzkünste von damals herunterzuspielen versuchte.

„Meine Güte, das ist alles schon so lange her. Dass ihr das überhaupt noch wisst!“

Monika kriegte ganz verträumte Augen, wie immer, wenn sie an die schönen Zeiten mit ihrem Mann dachte.

„Ich für meinen Teil hab noch nicht genug getanzt in meinem Leben“, sagte sie gedankenverloren. Schorsch spitzte die Ohren. Da schwang weit mehr mit als die Lust auf rhythmischen Hüftschwung.

„Redest du nur vom Tanzen?“, bohrte er nach. Sie schreckte hoch, wie ertappt.

„Klar. Wovon sonst?“

Ihm kam es so vor, als läge in ihrem Lächeln ein Hauch von Sehnsucht. Aber das konnte auch an der schlechten Beleuchtung liegen.

 

Disco jenseits der 60? Warum nicht – es ist kein Privileg der Jugend, Spaß zu haben. Aber wie soll das gehen? Da kommt Altrocker Schorsch der Zufall zu Hilfe, und das Leben der jung gebliebenen Alten schlägt unerwartete Purzelbäume.